Tübinger Initiative gegen die geplante Bioethik-Konvention

Dr. Rolf J. Lorenz, Erlenweg 40, 72076 Tübingen Tel.: 07071-600111; FAX: 07071-930479

Anlagen


6. Juni 1998

12. Zirkular

Sehr geehrte Damen und Herren,

früher als erwartet - nämlich bereits Ende März/Anfang April - hat der Bundestag seine Vorbereitungen zu der für April-Mai geplanten Aussprache über einen deutschen Beitritt zur Bioethik-Konvention abrupt abgebrochen. Die spürbare Widerspenstigkeit in weiten Teilen des Wählervolkes und die unklare Stimmungslage unter den Abgeordneten selbst ließ es die Wahlstrategen geboten erscheinen, das wenig populäre Thema zunächst einmal auf Eis zu legen bis nach den Wahlen. Kanzler Kohl soll von dem anhaltenden Widerstand beeindruckt gewesen sein. In Bonn heißt es, daß man das Thema wohl erst Anfang nächsten Jahres wieder aufgreifen werde. Das Ziel der Beitritts-Befürworter, wenigstens noch die Unterzeichnung durch die Bundesregierung durchzusetzen, wurde jedenfalls nicht erreicht! Siehe dazu auch den Artikel in der FRANKFURTER RUNDSCHAU vom 2. Mai 1998.

Auch wer nicht euphorisch veranlagt ist, sondern eher zu vorsorglicher Skepsis neigt, darf sich - und uns allen! - jetzt ruhig einmal zugestehen, daß dies ein großer Zwischenerfolg ist, an den zu Jahresanfang niemand geglaubt hätte. Bürger-Engagement vermag eben doch etwas zu bewegen! Abgeordnete haben uns wissen lassen, daß die anhaltenden Unterschriften- und Briefaktionen bei vielen Empfängern im Bundeshaus Wirkung gezeigt haben : Man darf annehmen, daß weitaus mehr Briefe geschrieben worden sind, als wir bei unserem Aufruf im 11. Zirkular zu hoffen gewagt hätten. Sie haben dazu beigetragen, daß mehrere Abgeordnete ihre Unterschrift unter die Liste der Beitrittsbefürworter (Altmaier, Catenhusen u.a.; vgl. Anlage zum 11. Zirkular) inzwischen wieder zurückgezogen haben. Es hat den Anschein, daß die eigentliche Auseinandersetzung in den Köpfen vieler Abgeordneter überhaupt erst jetzt begonnen hat (oder zu beginnen im Begriffe ist).

Noch Ende März hatte eine interfraktionelle Gruppe von Beitrittsgegnern (Antretter, Beck u.a.) einen Gegenantrag fertiggestellt, der jedoch nicht formell "eingebracht", sondern unter den MdBS in Umlauf gesetzt wurde. Damit liegen nunmehr zwei Anträge vor, die allerdings im neuen Bundestag neu eingebracht werden müssen. Dies haben die Erstunterzeichner beider Anträge offenbar auch vor, denn beide Gruppen werben derzeit eifrig um weitere Unterschriften, und zwar quer über die Parteiengrenzen hinweg. Dem Vernehmen nach liegt die Anzahl der schon eingesammelten Seelen bei beiden Listen jeweils _ zwischen 100 und 200. Das bedeutet auch: Zwischen 300 und 400 Abgeordnete haben sich noch nicht festgelegt - aus welchen Gründen immer!

Die Intention des Antretter/Beck-Antrages ist es, vor einer übereilten Unterzeichnung zu warnen. Ein entscheidendes Argument ist, daß eine Nichtunterzeichnung des Rahmenabkommens zum jetzigen Zeitpunkt die Bundesrepublik keineswegs (wie von der Altmaier/Catenhusen-Gruppe behauptet) von einer weiteren gestalterischen Mitarbeit an den noch ausstehenden Zusatzprotokollen ausschließt, sondern - im Gegenteil die deutsche Verhandlungsposition in der Sache stärkt. Eine Entscheidung solle erst dann getroffen werden, wenn auch die angekündigten Zusatzprotokolle vorliegen.

Letzterer Punkt ist besonders wichtig . Prof. Klaus Dörner (pers. Mitt.) weist darauf hin , daß die in Art .31 beschriebene "Weiterentwicklung der Grundsätze in einzelnen Bereichen" in Form von Protokollen auch die künftige Akzeptierung von "Ausnahmen" nach sich ziehen wird, denn die Logik der Protokolle ist:

"Wer die Prinzipien der Konvention akzeptiert, wird auch den Protokollen zustimmen. Oder: Wie man mit der Verstärkung des Damms gegen Menschenrechtsverletzungen durch die Protokolle zufrieden sein wird, so wird man auch die Verstärkung und Ausweitung der Dammbrüche durch die Protokolle begrüßen müssen."

Mit anderen Worten: Wer die Prinzipien des Rahmenabkommens durch seine Unterschrift anerkennt, kann sie bei den Protokollen schlecht verweigern!

Was ist zu tun?

Die Unterbrechung der parlamentarischen Arbeit am Übereinkommen bedeutet nicht, daß ein halbes Jahr lang in Bonn gar nichts geschieht! Das Werben um vorsorgliche Festlegung der Abgeordneten geht weiter. Die überwiegende Mehrheit der Abgeordneten hat sich bisher vermutlich nur oberflächlich oder gar nicht mit dem Thema auseinandergesetzt. Diese Vermutung wird durch eine interessante Beobachtung gestützt: Wir haben Kenntnis von zahlreichen Schreiben, in denen Abgeordnete auf Zuschriften von Bürgern geantwortet haben. Die Ausführungen von Abgeordneten, die sich bereits auf einen zügigen deutschen Beitritt zur Bioethik-Konvention festgelegt haben, lassen sich - bis auf Ausnahmen - grob in zwei Gruppen einteilen: Entweder sie übernehmen die Argumentation des Justizministeriums (in deren Broschüre vom Februar) oder sie zitieren (fast wörtlich) die Argumente von Herrn Catenhusen.

Eine der wenigen uns bekannten Ausnahmen ist Frau Margot von Renesse, ehemals vehemente Gegnerin, nun aber ebenso vehemente Befürworterin eines raschen deutschen Beitritts. Sie hat sich mit einigen Argumenten der Konventionsgegner auseinandergesetzt und die dabei gewonnenen Einsichten ihrer Parteifreundin Marianne Klappert zur Verfügung gestellt, die auch als Tierschutzbeauftragte ihrer Fraktion fungiert. Als solche wurde Frau Klappert im März von dem Tierschützer und Konventionsgegner Dr. de la Fuente (Neu-Ulm) angeschrieben. In ihrer Antwort übernimmt Frau Klappert die Renesse'schen Gedanken und beschränkt ihren eigenen Beitrag im wesentlichen auf die Feststellung, daß "ich mich weder beim Tierschutz noch bei der Bioethik-Konvention auf die Seite der Fundamentalisten schlage". Auf diesen Brief hat Jobst Paul eine ausführliche Entgegnung an Frau Klappert gerichtet. Kopien beider Briefe liegen diesem Zirkular bei.  [Meine Entgegung ist online auch dabei. (Fuente)]

Wenn die Vermutung zutrifft - und vieles spricht dafür - daß die Mehrzahl der Abgeordneten ihre persönliche Entscheidung im Bundestag selbst in einer so wichtigen Frage unter Umgehung des eigenen Kopfes trifft und sich auf die Meinung anderer beruft, dann (spätestens!) haben die Bürger das Recht (und die Pflicht!) zu fragen, wozu sie eigentlich wählen und Menschen ihres Vertrauens ins Parlament "abordnen".

Der Gedanke, daß es in den Parlamenten anderer Mitgliedsstaaten des Europarates ähnlich oder womöglich noch schlimmer um die demokratische Repräsentanz der Bürger bestellt sein könnte, nachdem die Öffentlichkeit dort nicht einmal über die Vorgänge informiert wurde (und wird!), ist übrigens ein weiteres Argument gegen eine deutsche Beteiligung an dem verschwörerischen Bemühen, vielen Millionen Europäern das Fell über die Ohren zu ziehen. Am Ende werden wir wieder zu hören bekommen, daß man gegen die Entwicklung ja gar nichts machen könne. Wer anders als die Parlamentarier könnten sehr wohl etwas tun, wenn sie es nur wüßten und wollten!

Daher lauten unsere dringenden Empfehlungen erneut:

  1. Versuchen Sie, in höflich gehaltenen Schreiben mit den Abgeordneten Ihres Wahlkreises ins Gespräch zu kommen! Bis zur Wahl stehen die Parlamentarier unter dem Druck ihrer Wähler, danach nicht mehr.
  2. Lassen Sie sich durch "billige" Gegenargumente nicht abspeisen oder entmutigen; gehen Sie darauf ein! Gute Argumente sind heute genügend bekannt - nicht zuletzt aus den Anlagen zu den Zirkularen.
  3. Kirchengemeinden und andere kirchliche und nichtkirchliche Einrichtungen sollten Diskussionsabende mit Abgeordneten veranstalten, möglichst unter flankierender Beteiligung der lokalen Presse. Es steht jetzt sogar ein ausgearbeiteter Gottesdienst zum Thema "Bioethik" zur Verfügung (siehe unter "Verschiedenes"!).
  4. Besuchen Sie Wahlveranstaltungen und bringen Sie das Thema "Bioethik-Konvention" zur Sprache!
  5. Verbreiten Sie das Thema weiterhin unter Bekannten und Verwandten, denn die Kenntnis ist -trotz allem - noch immer erschreckend gering. Wenn Sie nichts besseres haben, kopieren Sie die Zirkulare und reichen sie sie weiter!

Anmerkung zu 1. Es empfiehlt sich, dem Abg. nicht mit Entrüstung und Protest ins Haus fallen. Gestehen Sie - als eine Möglichkeit - Ihre Schwierigkeit mit der Konvention ein und erbitten Sie seine/ihre Stellungnahme. Wichtig ist, den Adressaten zum Eingehen auf Ihr Anliegen zu bewegen. Einige Musterbriefe liegen dem Zirkular bei.

Ein lähmendes Trauerspiel führen die beiden großen christlichen Kirchen vor. Im 8. Zirkular berichteten wir über das irritierende Ergebnis eines vertraulichen Gesprächs der Bundesregierung mit Bischof Lehmann und Landesbischof Engelhardt, dem damaligen Ratsvorsitzenden der EKD, im März 1997: Obwohl die Kirchenführer die strittigen Punkte der Konvention nach wie vor ablehnten, sahen sie doch keinen zwingenden Grund, von einem Beitritt Deutschlands zur Konvention abzuraten. Damit war die letzte große Hürde gefallen, welche die Bundesregierung noch hätte davon abhalten können, den Durchmarsch zu Unterzeichnung und Ratifizierung zügig in Angriff zu nehmen. Wer geglaubt hatte, daß dies vielleicht doch noch nicht das allerletzte Wort der Kirchen gewesen sei, sah sich spätestens bei der Anhörung im Rechtsausschuß des Bundestages am 25. März 1998 eines Besseren belehrt: Die für den Rat der EKD und für das Kommissariat der deutschen Bischöfe erschienenen Abgesandten, Dr. Hermann Barth (Vizepräsident des EKD-Kirchenamtes) und Prälat Paul Bocklet, bekräftigten und präzisierten die Positionen der beiden Kirchen in einer wahrhaft atemberaubenden Weise (s. Anlage!).

Schon in der Pause der Anhörung kam es zu einem erregten Wortwechsel zwischen Konventionsgegnern, die als Besucher angereist waren, und Dr. Barth. Die Tübinger Initiative sandte einen "offenen Brief" an den neuen Ratsvorsitzenden der EKD, Präses Kock, in dem sie sich gegen die hartnäckige Ignorierung der massenhaften Proteste evangelischer Christen durch die EKD-Leitung wandte und die Öffnung eines längst überfälligen Dialogs innerhalb der Kirche einforderte. Die Antwort war ein dreizeiliger Brief aus der Kirchenkanzlei, daß der Ratsvorsitzende auf offene Briefe grundsätzlich nicht inhaltlich antworte.

Ende April kam es zu einem Gespräch zwischen dem Theologen D. Ulrich Bach und Dr. Hermann Barth, in dem es trotz vieler nicht überbrückbarer Meinungsverschiedenheiten wenigstens zu einem Konsens über 6 Punkte gekommen ist. Lesen Sie dazu Hoffnung auf Verständigung?" in der Anlage! Einen ersten (schwierigen) Versuch des Dialogs mit dem neuen Ratsvorsitzenden hat es kürzlich gegeben siehe dazu den Bericht "Viele Fragen. Die Antworten lassen auf sich warten."

Das Pikante an der Situation des neuen Ratsvorsitzenden ist, daß er als Präses der Rheinischen Kirche einen Beschluß der dortigen Kirchenleitung vom März 1998 mitträgt, wonach von einer Unterzeichnung und Ratifizierung des Abkommens abgeraten wird, während er als EKD- Ratsvorsitzender offenbar an eine Beschlußlage des EKD-Rates gebunden ist, die sich zu dieser Frage einer Festlegung ausdrücklich enthält.

Bei vielen Menschen beginnt sich Resignation breit zu machen über eine Kirche, die immerhin den Mut hatte, den nächsten Ev.Kirchentag unter das Motto zu stellen "Ihr seid das Salz der Erde!" Wer dies ernst zu nehmen in der Lage ist und bislang nicht jegliche Hoffnung hat fahren lassen, sollte (und kann) noch immer etwas tun: Schreiben Sie (persönliche!) Briefe an Manfred Kock, die seine Position festigen können. Legen Sie Kopien aller Aufrufe und Stellungnahmen bei, die Sie (als Einzelne, Kirchgemeinden, ev. Einrichtungen usw.) bislang auf den Weg gebracht haben: Dies könnte dem EKD-Rat vielleicht dazu verhelfen, endlich zu begreifen, wovor er seine Augen und Ohren bislang fest verschlossen hat. Anschrift: Herrn Präses Manfred Kock, Vorsitzender des Rates der EKD, Kirchenamt der EKD, Postfach 210220, 30402 Hannover. Man sollte auch die Mitglieder der EKD-Synode in diese Aktion einbeziehen! Wer die Anschriften der 120 Synodalen haben möchte, kann sie (gegen Einsendung von Briefmarken für 3 DM) beim Absender des Zirkulars bestellen.

Zum Schluß eine Bitte: Die Spenden, die wir vor einem Jahr von Ihnen erbitten mußten, haben bis jetzt gereicht! Mit diesem Zirkular fahren wir aber endgültig in die roten Zahlen. Daher liegen dieses Mal wieder Zahlkarten bei.

[An das Diakonische Werk Tübingen,  Kreissparkasse Tübingen (BLZ 641 500 20) Konto 48622, Stichwort: Bioethik]

Zirkulare kommen nur solange das Geld reicht!
Mit unserem besten Dank im voraus und mit freundlichen Grüßen
(gez. Rolf Lorenz)