Hoffnung auf Verständigung?

Kirchenamt der EKD und die Bioethik-Kritiker

Ende April kam es zu einem ausführlichen, in weiten Teilen kontroversen Gespräch zwischen dem Vizepräsidenten des Kirchenamtes der EKD, Herrn Dr. Hermann Barth (Hannover), und Herrn Dr. Ulrich Bach (Kierspe-Rönsahl). Übereinstimmung konnte jedoch erzielt werden im Blick auf die folgenden Punkte, zu denen Ulrich Bach einen Vorschlag eingebracht hatte.

1) Weil die Menschenwürde unantastbar ist, weil sie also nicht relativiert werden darf, auch nicht durch die Forschungsfreiheit, muß sich im Konfliktfall die Forschungsfreiheit ihrerseits eine Relativierung durch die Menschenwürde gefallen lassen.

2) Die individuellen Menschenrechte heute lebender Menschen haben klaren Vorrang vor allen (berechtigten) Ansprüchen kommender Generationen an uns (im Blick auf Leben ermöglichende Umwelt oder auch auf Gesundheit). Ob es sinnvoll ist, solche Ansprüche "Menschenrechte" zu nennen, mag offen bleiben. Keinesfalls aber dürfen von diesen Ansprüchen her die individuellen Menschenrechte heute lebender Menschen eingeschränkt werden.

3) In unserem Staat ist durch Artikel 1 GG die Menschenwürde wesentlich stärker geschützt als in der Weimarer Republik. Der Verfassungsjurist W. Dürig sagt zu GG Art. 79 Abs. 3: "... hiernach sind gewisse Verfassungsänderungen selbst der Disposition der verfassungsändernden Mehrheiten entzogen. ... Früher (noch während Weimar) galten die Grundrechte nur nach Maßgabe der Gesetze; heute gelten die Gesetze nur nach Maßgabe der Grundrechte... Zusammenfassend läßt sich sagen, daß im Grundgesetz die Rechte des Bürgers und ihr gerichtlicher Schutz eine unvergleichliche "Aufwertung" erfahren haben. Diese Aufwertung ist natürlich ... eine historische Reaktion auf den schlimmen Erfahrungsunterricht der Hitler-Diktatur."

4) Die Greuel des "Dritten Reiches" rechtfertigen keine Wissenschaftsfeindlichkeit, machen aber eine andauernde kritische Haltung der Wissenschaft gegenüber erforderlich; vgl. Zygmunt Bauman: "An den deutschen Universitäten wurde wie überall in der modernen westlichen Welt das Ideal einer wertfreien Wissenschaft kultiviert; Akademiker sollten der "Mehrung des Wissens" dienen und alle dem wissenschaftlichen Zweck abträglichen Interessen ignorieren."

5) Einige Mediziner, die an verbrecherischen Menschenversuchen tätig gewesen waren, blieben nach 1945 angesehene Mediziner oder wurden es bald wieder. So eindeutig manche Mediziner bewußt eine "Medizin nach Auschwitz" praktizieren, eine allgemeine "Buße" hat es nicht gegeben. Das belastet uns bis heute. - Vgl. Ernst Klee: "Die Ravensbrück-Versuche werden der Elite der deutschen Medizin am 24. Mai 1943 zur Kenntnis gebracht. Wer Rang und Namen hat, ist dabei. Die Spitzenvertre- ter der deutschen Medizin finden die Versuche unnötig und grausam. Aber: Keiner protestiert, keiner tritt von seinem Posten zurück. Im Mai 1943 wird von den Koryphäen des Ärztestandes jegliche ärztliche Ethik verraten. Dies erklärt, warum nach 1945 keinerlei Interesse besteht, Medizinverbrechen von bis dahin unbekanntem Ausmaß aufzuklären."

6) Kirche, Diakonie und Theologie sind mitschuldig geworden an der Nazi-Euthanasie, und zwar dadurch, daß sie in den zwanziger Jahren der Ideologie des gesunden und brauchbaren Menschen nicht entschieden entgegentreten (es gab z.B. vor 1933 in der Diakonie Vorschläge zur auch zwangsweisen Sterilisierung der sog. Minderwertigen). Auch hier steht eine umfassende Buße noch aus; die diesbezügliche Synodalerklärung der EKiR (Januar 1985) hat bisher weder die Kirche noch die Theologie geprägt. Was wir heute entwickeln müssen, ist eine klare "Theologie nach Hadamar", in der versucht wird, die theologische Diskriminierung der Schwächeren (der kranken, behinderten, dementen Menschen) dadurch zu verhindern, daß weder über sie noch über die Stärkeren theologische Sonder-Sätze entwickelt werden (durch die die Schwächeren als Sonder-Menschen abqualifiziert würden).

(Hannover und Kierspe-Rönsahl, im Mai 1998)

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