Marianne Klappert
Mitglied des Deutschen Bundestages
Stellv. Vorsitzende des Ausschusses
für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten

Herrn
Dr. Pedro de la Fuente
Hengstweg 5
89231 Neu-Ulm

15.04.98

Bioethik-Konvention; Ihr Schreiben vom 21.3.1998

Sehr geehrter Herr Dr. de la Fuente,

für Ihr oben bezeichnetes Schreiben mit Anlagen bedanke ich mich recht herzlich.

Sie zeigen sich darin verwundert, daß ich als Tierschutzbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion zu den Unterzeichnern eines Antrages gehöre, der den Beitritt der Bundesrepublik zur Bioethik-Konvention empfiehlt.

Dazu will ich zunächst bemerken, daß ich eine Verquickung beider Sachverhalte - meine Funktion als Tierschutzbeauftragte und die Befürwortung der Bioethik-Konvention - für nicht gerechtfertigt halte. Das eine hat mit dem anderen nicht so unmittelbar zu tun, wie Sie es suggerieren wollen. Darüber hinaus will ich auch noch einmal betonen, daß ich - im Gegensatz zu Ihnen - einen völligen Verzicht auf Tierversuche für ebenfalls nicht sachgerecht halte. Das im einzelnen zu begründen, würde jetzt zu weit führen. Ich erwähne das lediglich, um deutlich zu machen, daß ich mich weder beim Tierschutz noch bei der Bioethik-Konvention auf die Seite der Fundamentalisten schlage.

Meine Zustimmung zur Bioethik-Konvention ist darin begründet, daß völkerrechtlich verbindlich Normen auf diesem Gebiet wünschenswert, ja mehr noch: dringend notwendig sind. Kein Land der Welt kann allein mit nationalem Recht wirksame Dämme gegen ethisch bedenkliche Praktiken mehr aufrichten. International verbindliche Standards sind dafür unverzichtbar. (Es gibt diese Konventionen ja auch im Bereich des Tierschutzes, auf europäischer Ebene z.B.. Sie sind nach meiner Überzeugung hilfreich bei den Bemühungen um einheitlich hohe Tierschutzstandards in Europa.)

Wenn ich es recht sehe, sind es im wesentlichen 3 Einwände, die gegen die Bioethik-Konvention vorgebracht werden. Meine Fraktionskollegin Margot von Renesse hat sich damit auseinandergesetzt, und ich gebe Ihnen ihre Ausführungen nachfolgend zur Kenntnis, und ich füge hinzu, daß ich diese Ausführungen vollinhaltlich teile.

1.) Die Konvention enthalte keine eindeutige Definition zum Begriff des "Menschen"; sie nehme damit nicht klar genug Stellung gegen Bestrebungen, die Menschenwürde von Bedingungen (etwa der bewußten Gehirntätigkeit) abhängig zu machen.

Wer im Recht eine Definition darüber erwartet, was "der Mensch" sei, überfordert nationales wie internationales Recht. Gesetze können und wollen nur Antworten auf Fragen geben, die sich konkret in einer rechtlichen Konfliktlage stellen. So gilt auch im deutschen Recht eine andere Begrifflichkeit je nach dem, ob es sich um das Zivilrecht ("Rechtsfähigkeit") handelt oder um das Strafrecht (bei Delikten gegen das Leben). Streitige Grundfragen der Philosophie bleiben bewußt unentschieden. Bei der Diskussion um § 218 StGB hat sich erneut deutlich gezeigt, daß nicht einmal in unserem Rechtsraum eine völlige Übereinstimmung über Grundfragen erzielbar ist, sondern nur ein Rechtskompromiß, der im Lichte der Verfassung auch Bestand haben kann.
Eben dieser Kompromiß findet sich in der Bio-Med-Konvention. Danach sind alle geborenen Menschen - unabhängig von ihren sonstigen Eigenschaften - Personen; vor ihrer Geburt unabhängig vom Stadium ihrer embryonalen Entwicklung - "menschliches Leben". Bereits der menschliche Embryo ist als menschliches Lebewesen schutzwürdig. Geborene Menschen - ausdrücklich auch die sog. "einwilligungsunfähigen" - sind "Personen" mit gleichen Grundrechten, die von weiteren Voraussetzungen nicht abhängen.

Damit ist alles Gedankengut utilitaristischer Prägung in der Konvention ebenso wie im deutschen Recht zurückgewiesen. In der Grundfrage rechtlicher Schutzbedürftigkeit und -würdigkeit allen menschlichen Lebens bleibt die Konvention hinter deutschen Standards nicht zurück.

2.) Die Konvention bringe infolge begrifflicher Unschärfe und diverser Regelungslücken keine zureichende Festlegung für das nationale Recht der Unterzeichnerstaaten und schütze daher nur unzulänglich vor Gefährdungen der Menschenwürde durch biomedizinische Forschung und Technik.

Wir sind es in Deutschland aufgrund unserer nationalen Rechtstradition gewohnt, an Rechtsakte den Anspruch begrifflicher Präzision und umfassender Regelungsdichte zu stellen, - auch wenn oft unser eigenes Recht hinter diesem Anspruch zurückbleibt. Das Völker recht aber entwickelt sich - als ein Stück Vertragsrecht - nach der Tradition des angloamerikanischene Rechts, das absichtlich im Grundsätzlichen bleibt und der Rechtsentwicklung großen Raum gewährt. Völkerrechtliche Verträge pflegen immer nur den Konfliktstoff "abzuräumen", für den eine Einigung bereits zustande gekommen ist. Sie lassen noch nicht einigungsfähige Gegenstände bewußt offen und enthalten insoweit nur die Zusage der Weiterarbeit an Tochterkonventionen, den "Protokollen", die ihrerseits völkerrechtliche Verträge sind.

Zu messen sind völkerrechtliche Verträge also nicht daran, was sie - noch - nicht regeln, sondern daran, ob das bereits Geregelte mit unseren Rechtsgrundsätzen vereinbar ist und einen sinnvollen Fortschritt auf internationaler Ebene darstellt. Beide Fragen sind für die BioMed-Konvention zu bejahen. Insbesondere hindert die Konvention keinen Unterzeichnerstaat daran, in seinem nationalen Recht die vorgegebenen Standards zu übertreffen - eine Regelung, die insbesondere für unser Embryonenschutzgesetz wichtig ist.

Letzte begriffliche Schärfe und umfassende Reichweite der Regelungen können also von der Bio-Med-Konvention nicht erwartet werden. Wer das will, muß auf Völkerrecht gänzlich verzichten.

3.) Die Konvention verstoße direkt gegen das Verfassungsgebot des Art. 1 GG (Achtung der Menschenwürde), weil sie eine ausschließlich fremdnützige Forschung an einwilligungsunfähigen Personen nicht klar verbiete.

Dies ist der am schwersten wiegende Vorwurf gegen die Konvention, denn in dar Tat könnte das deutsche Parlament von Verfassungs wegen kein Regelungswerk verabschieden, in dem Menschen im Interesse eines allgemeinen Fortschritts wissenschaftlichen Versuchen preisgegeben werden. Kein Zweifel: Wir alle, die wir von schweren Krankheiten und Leiden betroffen sein können, sind darauf angewiesen, daß die Wissenschaft unsere Kenntnisse darüber vermehrt, damit ärztliche Hilfe möglich wird. Dazu war stets Forschung unter Einbeziehung der Patienten unerläßlich, die an eben diesen Krankheiten leiden. Jemanden einem Eingriff zu unterziehen, der nicht ihm, sondern dem Fortschritt der Wissenschaft dienen soll, ist aber nur mit seiner persönlichen Einwilligung zulässig. Stellvertretung ist hier nicht möglich, auch nicht die eines gesetzlichen Vertreters oder Betreuers. Denn die Bereitschaft, sich mit der Substanz der eigenen Person in den Dienst Dritter, auch der Allgemeinheit, zu stellen, gehört zum sittlichen und damit zum höchstpersönlichen Entscheidungskreis eines Menschen. Jede Stellvertretung kommt hier einer Verfügung über einen anderen gleich und widerspricht zutiefst der Achtung der Menschenwürde, die für uns Deutsche aus vielen Gründen zentraler Wert sein muß.

Wenn es medizinische Forschung unter Einbeziehung einwilligungsunfähiger Patienten überhaupt nicht geben dürfte, so müßten eben die Leiden dieser Menschen unerforscht bleiben. Das würde Stillstand bedeuten z.B. bei der Rettung frühgeborener Kinder oder Komapatienten, auch bei bestimmten Formen der Altersdemenz.

Die Konvention ermöglicht in der Tat die Einbeziehung einwilligungsunfähiger Personen in Forschungsvorhaben, wenn eine Reihe von objektiven Voraussetzungen erfüllt sind, die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters vorliegt und die betroffene Person nicht Ablehnung zum Ausdruck bringt. Wären dies schon alle Zulässigkeitsbedingungen, so könnte ein deutscher Gesetzgeber der Konvention gleichwohl wegen Unvereinbarkeit mit Art. 1 des Grundgesetzes nicht zustimmen.

Die Konvention verlangt aber die Einhaltung weiterer Bedingungen, die das Bild grundlegend ändern: Die Einbeziehung nicht Einwilligungsfähiger in ausschließlich fremdnützige Forschung ist nur insoweit zulässig, soweit es um Interventionen von "minimalem Risiko und minimaler Belastung" geht. Diese Formulierung enthält eine wesentliche Abgrenzung, die Art. 1 des Grundgesetzes unangetastet läßt.

Unser Interventions- (Eingriffs-) Begriff ist seit der Verabschiedung des Nürnberger Ärztekodex im Jahre t947 erheblich ausgeweitet und verfeinert worden. Insbesondere durch die Diskussionen zur informationellen Selbstbestimmung gelten als Eingriffe bereits medizinische Handlungen, die 1947 nicht entfernt als Eingriffe verstanden wurden, wie z. B. Messen, Wiegen, Beobachten, die Untersuchung von Ausscheidungen, die Entnahme einer größeren Menge von Blut bei der Untersuchung eines Patienten. die Verabreichung eines wirkstofflosen Placebos, ja selbst eine ärztliche Anamnese. Solche Handlungen werden inzwischen mit Recht als Eingriffe betrachtet, bedürfen also der persönlichen Einwilligung des Betroffenen. Die Frage stellt sich, ob die Achtung der Menschenwürde auch hier verbietet, die persönliche Einwilligung durch einen gesetzlichen Vertreter ausreichen zu lassen. Es geht ausschließlich um Handlungen, die nicht "invasiv" in die Substanz einer Person eingreifen, sie also in ihrer Integrität unbeschädigt lassen. Sie bergen damit erst gar nicht das Risiko eines Übergriffs in die Menschenwürde. Wird die - nach wie vor erforderliche - Zustimmung hier durch einen Dritten erteilt, so ist dies nicht gleichbedeutend mit der Verfügung über die Person des Betroffenen, weil dessen Menschenwürde nicht auf dem Spiel steht.

Es bedarf keiner speziellen Erläuterung, daß insbesondere der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der Konvention die dargestellte Grenze peinlich genau zu wahren hat. Denn bei jedem nationalen Gesetz ist für uns der Artikel 1 des Grundgesetzes eine unübersteigbare Schranke. Diese Schranke gestattet es nicht, daß sich jemand zum Herrn über Leben und Tod, Schmerz und Leid Dritter aufwirft. Diese Selbstverständlichkeit auch international rechtlich verbindlich zu machen, ist das Anliegen der Konvention, die daher Unterstützung verdient.

Ich will noch einmal darauf hinweisen, daß auch ich der Ansicht bin, daß die Konvention nicht alle Probleme löst und vielleicht das ein oder andere neue Problem aufwirft. Dennoch halte ich sie für einen wesentlichen Schritt auf dem Weg zu weltweit verbindlichen Standards in der biomedizinischen Forschung.

Das Rad der Entwicklung läßt sich auch hier nicht mehr zurückdrehen. Jetzt kommt alles darauf an, die notwendigen Dämme zu errichten. Und dazu dient die Bioethik-Konvention. Und insofern kann und werde ich deren Annahme empfehlen.

Mit freundlichen Grüßen

(gez. Marianne Klappert, MdB)


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Antwort von Dr. Pedro de la Fuente

Schreiben von Jobst Paul

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