Jobst Paul
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An Frau
Marianne Klappert MdB
Stellv. Vorsitzende des Ausschusses
für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten

Bundeshaus

53113 Bonn

2. Mai 1998

Sehr geehrte Frau Klappert, liebe Genossin,

Herr Dr. de la Fuente, Ulm, hat Ihr Antwortschreiben an ihn vom 15.4.98 - Bezug ist die Bioethik-Konvention des Europarats - dankenswerter Weise weitergegeben, da es von breiterem Interesse ist. Der Presse war nun zu entnehmen, daß die Beratung der Konvention in dieser Legislaturperiode abgesagt ist. Selbstverständlich ist das eine gute Nachricht für alle, die seit Jahren dafür werben, zunächst Raum für Diskussion und Reflexion zu schaffen. Die Verschnaufpause, bis sich ein neuer Bundestag und eine neue Regierung mit der Materie beschäftigt, sollten wir für eine intensivierte Debatte bereits nutzen. Bitte erlauben Sie mir daher, wenn ich zu Ihrem Schreiben einige kritische Nachfragen an Sie, bzw. an die Argumentation richte, die offenbar von Ihrer Kollegin, Frau von Renesse, in dieser Form zusammengestellt wurde. Als Ausgangspunkt wähle ich das folgende:

Im Papier werden die "Definitionen", wer "Person" und was "menschliches Leben" sei, an das Datum der Geburt gebunden und insofern als kongruent mit der deutschen Rechtspraxis erklärt. Insbesondere wird dabei auf §218 als Rechtskompromiß verwiesen. Und eben "dieser Kompromiß finde[t] sich in der Bio-Med-Konvention."

Ich gebe zu, daß diese gedankliche Konstruktion eine `elegante' Kupplung zwischen Konvention und deutscher Rechtswirklichkeit herstellt. Allerdings handelt es sich um eine rein spekulative Analogie, die - wie bei Analogien üblich - überredet, aber nicht überzeugt. So wäre es eine kühne Ableitung, die obige, begriffliche Scheidung, und dies zudem noch im Zusammenhang des Datums der Geburt, stelle tatsächlich einen deutschen Rechtsgrundsatz dar. Ich bin mir sicher, daß eine solche begriffliche Scheidung, hätte man sie in der Vergangenheit in Deutschland durchsetzen wollen, wohl der gleichen Debatte begegnet wäre, wie wir sie jetzt erleben. Zumindest hätten wir alle davon gehört.

Kurz: Ich denke, hier werden die Dinge passend gemacht. Dies gilt erst recht umgekehrt: Niemand wird ernsthaft behaupten wollen, das CDBI habe sich bei der Konzeption der Konvention nach dem deutschen §218 gerichtet. Wir tun also gut daran, die Konvention von ihren eigenen Voraussetzungen her zu beurteilen und dann das Ergebnis mit unseren Rechtsvorstellungen zu vergleichen.

Ein anderes kommt hinzu. Die individualethische Konfliktlage `Abtreibung' könnte man vielleicht in irgendeiner Weise vergleichbar halten mit möglichen Konfliktlagen im individuellen Arzt-Patienten-Verhältnis. Aber aus ethisch problematischen Einzelentscheidungen wird weder eine Mutter noch ein Arzt ein Prinzip des "Sollens" oder einen Rechtssatz für alle anderen ableiten, der gar Pate für eine Menschenrechtskonvention stehen könnte. Im Gegenteil werden sie auf ihrem spezifischen Einzelfall und auf der `Not' ihres individuellen Gewissens bestehen.

Die Konvention hingegen möchte kollektivethische Verpflichtungen (vgl. u.a. die Präambel) in Bereiche tragen, die m.W. in der Menschenrechtstradition, erst recht seit der NS-Erfahrung, nur mit individuellen Schutzrechten ausgefüllt werden dürfen. Weil die Konvention mit diesem Grundsatz bricht, vermeidet sie es auch, auf diese Tradition Bezug zu nehmen. Nicht das individualethische Konflikt-Beispiel `Abtreibung' bietet sich also als Analogie an, sondern die kollektiven "Not"fälle des Kriegsrechts oder der Triage-Medizin, die die Ausnahme zur allgemeinen Regel machen, wobei nun - statt dem `nationalen Interesse' oder der `knappen Ressourcen' - die Dringlichkeit der Forschung am Menschen zum Sachzwang, zum `Menschheitsinteresse' aufrückt. Ebenso freilich wie bei jenen `Begründungen' wird nun diese axiomatisch gesetzt. Eine Infragestellung ihrer Legitimität, eine Klärung der Kontrolle ihrer Macht oder eine Aufhellung ihrer ideologischen Abgründe sollen hier - völkerrechtlich vereinbart - tabuisiert werden.

Schließlich: Wenn nun die Straßburger Konvention, wie von Ihnen offenbar zugestanden, die Begriffe `Person' und `menschliches Wesen' [zu schweigen von der tatsächlichen, nämlich englischen / französischen Begrifflichkeit des allein geltenden Originals] das `Menschliche' in unterschiedliche moralische Wertigkeiten einteilt, läge es dann nicht nahe, zur Klärung und zum Verständnis dieser Begriffe jene recht eindeutige, international bestimmende bioethische Argumentation heranzuziehen, in der diese Begriffe die ausschlaggebende Rolle spielen, statt sie zu `deutschen Rechtsbegriffen' herunterzudeklinieren? Welches die Absicht dahinter auch immer sein mag, trifft sie nicht nur auf die Frage, wem das nützen soll, sondern auf die Tatsache, daß der Informationsstand der Öffentlichkeit weiter ist.

Im Oktober letzten Jahres [1997] haben sich u.a. über 50 deutsche Verbände, darunter ziemlich große, innerhalb von zwei Tagen einer Protesterklärung angeschlossen, die sich gegen die kurzfristige Behandlung der Bioethik-Konvention in einer bevorstehenden Sitzung des Bundeskabinetts wandte, weil absehbar war, daß die federführenden Minister ihr Anliegen schnell noch durchbringen wollten, bevor es ins Vorfeld eines bevorstehenden Bundestagswahlkampfs gespült würde. Die beeindruckende Übereinstimmung der Verbände ist zustandekommen, weil die Verbandsspitzen sich über Jahre hinweg eine begründete Meinung über die bioethisch-ideologische, international übergreifende Dynamik gebildet haben. Mich erstaunt es außerordentlich, daß Sie hinter diesen Informationsstand zurückgehen wollen. Darin wird Ihnen wohl niemand mehr folgen können.

Ein weiterer Punkt, den ich für besonders schwerwiegend halte: Ihr Begriff des "Rechtskompromisses", den Sie aus der Konfliktsituation `Abtreibung' des deutschen §218 ableiten und dann der Bioethik-Konvention unterlegen, verwandelt sich dort in den ganz anderen Namen der "Güter-Abwägung". Gemeint ist die Einreihung des Menschenwürdepostulats unter andere, vermeintlich `gleichberechtigte' Grundrechte, darunter die Forschungsfreiheit. Der Primat der Menschenwürde aus Art.1 GG ist abhanden gekommen. Soll nun aber ernsthaft die Analogie mit dem deutschen §218 gelten, dann färbt dies umgekehrt auf unser Verfassungsverständnis ab: Der Primat der Menschenwürde ist eingeebnet. Ich kann Ihnen nicht zustimmen, daß die Konvention in dieser Hinsicht "letzte begriffliche Schärfe und umfassende Reichweite der Regelungen" vermissen läßt. Im Gegenteil: "Güterabwägung" zwischen Menschenwürde und Forschungsfreiheit ist ein scharfes Schwert, das ziemlich genau trifft ... .

Dieser entscheidende Hintergrund kann nicht zufälliger oder unbemerkter Teil Ihrer Analogie sein. Selbst wenn Sie ihn nur in Kauf nehmen, äußert sich darin für mich eine konkrete politische Intention, die Sie allerdings - wie andere Konventionsbefürworter auch - nicht darlegen. Ihr Hinweis, das deutsche Recht lasse in der Frage, wer ein Mensch sei, "Grundfragen der Philosophie ... bewußt unentschieden", reflektiert ebenfalls - so empfinde ich es - jenes unausgesprochene, undeutliche Ressentiment, das die Debatte so schwer macht und das Mißtrauen der Öffentlichkeit begründet.

Vielleicht liegt es daran, daß auch Ihre Konstruktion ein papierener Formelkompromiß ist, ohne Füllung mit und ohne Bezug zu jener schwerwiegenden gesellschaftlichen Realität, auf die eine solche Formel Geltungsanspruch erhebt. Sie verfehlt nicht nur das komplexe Niveau der Probleme, sondern eigentlich vollständig jede humane Dimension. Was bedeutet, und zwar ausdrücklich mit Bezug zur Menschenwürdeforderung, Ihr Hinweis auf die Trennung von Recht und Philosophie denn konkret? Ist Art.1 GG philosophische Lyrik und die Berufung darauf eine Art "Duselei"?

Ich kann nur hoffen, Sie stimmen mir zu, daß wir Deutsche von Realpolitik im Bereich der Verfassungswerte für immer die Finger lassen sollten. Aber ich gebe zu - hier spekuliere ich über Ihre Position, denn genau an dieser Stelle brechen Sie Ihre Argumentation ab und kommen zu apodiktischen Feststellungen, die uns ebensowenig weiterhelfen:

"Damit ist alles Gedankengut utilitaristischer Prägung in der Konvention ebenso wie im deutschen Recht zurückgewiesen. In der Grundfrage rechtlicher Schutzbedürftigkeit und -würdigkeit allen menschlichen Lebens bleibt die Konvention hinter deutschen Standards nicht zurück." "Zu messen sind völkerrechtliche Verträge also nicht daran, was sie - noch - nicht regeln, sondern daran, ob das bereits Geregelte mit unseren Rechtsgrundsätzen vereinbar ist und einen sinnvollen Fortschritt auf internationaler Ebene darstellt. Beide Fragen sind für die Bio-Med-Konvention zu bejahen."

Daran muß man ganz fest glauben - argumentativ hergeleitet haben Sie das alles nicht und zudem kurzerhand den völlig unmißverständlichen Text der Konvention beiseite geschoben. Aber es scheint, auch Sie selbst sind nicht ganz davon überzeugt, daß alles seine Ordnung hat. Gegen Ende Ihrer Argumentation findet sich nämlich die Aussage: "Das Rad der Entwicklung läßt sich auch hier nicht mehr zurückdrehen. Jetzt kommt alles darauf an, die notwendigen Dämme zu errichten." - womit Sie die Konvention meinen. Meine einfache Frage an Sie: Ist das "Rad der Entwicklung" für Sie nun schon zu weit gegangen oder nicht?

Wenn nicht, dann müßten Sie mit dem status quo der Fortpflanzungstechnologien in den USA oder England, mit der künstlichen Gebärmutter in Japan und Bologna, mit Herrn Seed und der niederländischen Euthanasiestatistik u.v.m. einverstanden sein und all dies für "mit unseren Rechtsgrundsätzen vereinbar" halten. Nur erhebt sich dann die Frage, wogegen wir dann noch Dämme brauchen, vor allem aber, welche Rechtsgrundsätze sie meinen, die in diesen Entwicklungen zum Ausdruck kommen und die die Konvention widerspiegelt.

Sollte aber umgekehrt das "Rad der Entwicklung" Ihrer Meinung nach schon zu weit gegangen sein, dann können diese Entwicklungen für Sie schwerlich mit geltenden Rechtsgrundsätzen übereinstimmen. Wenn nun allerdings nach Ihrer Auffassung das "Rad" nicht zurückgedreht werden kann, dann kann die Konvention auch kein bedeutender Damm dagegen sein, sondern kann höchstens das, was `zu weit' gegangen ist, festschreiben, in der Hoffnung, daß es nicht noch weiter gehe. Kurz: die Konvention befände sich genau dort, wo sie sich m.E. tatsächlich befindet, im Bereich des kollektiven Ausnahmerechts. Sie wäre eine Verwaltungsvorschrift, und ihre Aussage, man könne das "Rad der Entwicklung" nicht zurückdrehen, würde zum Eingeständnis, daß wir uns im rechtlichen Ausnahmezustand bleibend einzurichten haben. Nur müßten Sie dann erklären, warum wir das tun sollten. "Fatalismus der Geschichte"? Meinen Sie, der Mensch gewöhnt sich an alles, oder - die Menschheit sei ohnehin nicht zu retten?

Die Auswahl an Lesarten, die Sie anbieten, zeigt - so meine ich, wie wir diese Debatte wohl nicht führen können, wenn sie zu einem Konsens führen soll. Man kann von niemand erwarten, sich politischen Grundsätzen anzuvertrauen, die nicht dargelegt werden bzw. überhaupt nicht dargelegt werden können, weil sie wahrscheinlich keinen Sinn machen, oder gar unbekannten, sehr beliebigen persönlichen Wert- und Kulturvorstellungen oder Ressentiment einzelner Politiker.

Nur zum Beispiel: Das Bild vom "Rad der Entwicklung", welches man nicht zurückdrehen könne, erinnert durchaus an jene kulturgeschichtliche `Theorie' vordemokratischer, jedenfalls konservativer Herkunft, die Machtinteressen ins Gewand der `naturwüchsigen geschichtlichen Kräfte' kleidete. Man wird niemand plausibel machen können, er müsse der Konvention zustimmen, nur um diese abgelegene, restaurative Kultursicht zu bedienen. Sollte entgegen Ihrer Auffassung durch die Konvention die Menschenwürde einzelner Patienten unter die Räder kommen - ist Ihnen nicht bewußt, welche Ungeheuerlichkeit dann dem Satz innewohnt, man könne das Rad nicht zurückdrehen? Um so erstaunlicher ist die Erwartung der Politik, ein solches Niveau der Argumentation genüge nicht nur der Thematik der Konvention, sondern auch den Ansprüchen der Öffentlichkeit auf nachvollziehbare Argumente. Ich bitte Sie, dieses Niveau einmal auf die pädagogische Ebene zu übertragen, für die ich hier nur am Rand sprechen will.

Wo soll eine Orientierung für Kinder und Jugendliche herkommen, die in diese neue humantechnokratische Welt hineinwachsen und von denen wir erwarten, daß sie einmal, als Individuen, `ethische' Entscheidungen treffen, wenn die Erwachsenenwelt über ` Formelkompromisse' oder über Floskeln vom `Rad der Entwicklung' nicht hinauskommt. Entweder also, die Politik öffnet sich den Widersprüchen, in die wir hineintreiben, und beteiligt sich an der geduldigen Erörterung, was richtig und was falsch ist, oder aber, sie wird irgendeinen Unsinn bald durch einen autoritären oder gar totalitären Regreß in die Köpfe versenken müssen.

Ich kann im Hinblick darauf leider nicht umhin, auf Ihre Argumentation zur "fremdnützigen Forschung an einwilligungsunfähiger Personen" zu antworten. Sie schreiben zunächst:

Man würde gern des öfteren rufen - "Kann ich das bitte noch einmal hören?"! Hier kann ich wohl nur auf ein etwas drastisches Beweismittel zurückgreifen:

Wenn die Würde eines Menschen dadurch nicht beeinträchtigt wird, daß Dritte ihm - wann und wo auch immer - verordnen können, daß er sich messen, wiegen und beobachten lassen muß, daß er seine Ausscheidungen untersuchen lassen muß, daß er sich bei der Untersuchung eine größere Menge Blut abnehmen lassen muß, daß er wirkstofflose Placebos einnehmen muß und eine ärztliche Anamnese über sich ergehen lassen muß - nun gut. Kein Problem - dann fangen wir doch bei Ihnen, einer Abgeordneten des deutschen Bundestages, die künftig gern mit dieser Konvention leben will, gleich einmal an. Wir besorgen Ihnen einen entsprechenden "Vertreter" aus den Regierungsfraktionen, und dann kann's losgehen. Irgend etwas werden Sie ja haben, was für die Forschung interessant wäre. Die Placebos gibt's stündlich vom Präsidenten. Die `Beobachter' bleiben natürlich anonym.

Kurz: Sie konstituieren ganz selbstverständlich zwei Arten von Würde, eine de luxe und die andere als `no name'. Peinlich ist, falls der Hinweis notwendig wäre, daß selbstverständlich auch Menschen mit fehlender Zustimmungsfähigkeit eine Würdeempfindung haben, nämlich eine höchst sensible (wie Sie und ich). Zudem ist nicht zu vermitteln, daß die europäische Psychiatrieforschung, die Wissenschaftsverbände und die pharmazeutische Industrie eine derart umfassende Anstrengung unternommen haben sollten, um von der Bioethik-Konvention die Erlaubnis zu erhalten, Leuten Blut abzunehmen und den Kopf zu messen.

Davon steht in der Konvention ohnehin nichts, und selbst die Beispiele im Erläuternden Bericht, die schon etwas weiter gehen, sind nur Beispiele. Noch mehr findet sich bei Helmchen/Lauter, aber auch das sind nur Beispiele. Dagegen hat vor geraumer Zeit ein Heimarzt ein Beispiel aus der Praxis genannt: Ein Kollege bat ihn, mal eben von seinen dementen Patienten im Rahmen der kollegialen Hilfe Hirnbiopsien zu machen ... Und wenn Sie `Menschen mit fehlender Zustimmungsfähigkeit' in der Kontrollgruppe gern Placebos verordnen wollen, dann wird es ja wohl auch die Gruppe von `Menschen mit fehlender Zustimmungsfähigkeit' geben, an denen das tatsächliche neue Medikament ausprobiert wird, dessen Wirkungen und Nebenwirkungen noch nicht genau bekannt sind. Daß ein `minimales Risiko' oder eine `minimale Belastung' überschritten wird, wird hier also bewußt in Kauf genommen. Und schließlich - sind Gewebeentnahmen `nicht-invasiv'?

Von dem Heidelberger Ev. Theologen Prof. Jürgen Hübner ist vor geraumer Zeit die Auffassung bekannt worden, er billige die Konvention. Sie könne zwar zur Verletzung der Menschenwürde führen, aber - "nicht oft". Soll ich tatsächlich annehmen, dem könnten Sie zustimmen? Oder hören Sie noch einmal einen Praktiker:

"Natürlich geht es hier nicht nur darum, komatösen Patienten Blut abzunehmen - so niedlich sehen wir die Dinge in der Tat nicht -, sondern es geht darum, mit komatösen Patienten klinische Studien durchzuführen, die theoretisch auch geeignet sind, das Leben eines komatösen Patienten zu verkürzen und ihm Schaden zuzufügen. Das ist überhaupt keine Frage." [Prof. Karl Einhäupl (Neurologie Universitätsklinikum Charité) Anhörung im Berliner Abgeordnetenhaus vom 21-4-97]

Ich möchte nun an Sie, sehr verehrte Frau Abgeordnete Klappert, appellieren, Ihren Standpunkt zu überdenken. Wenn etwas unhaltbar ist, und wenn, wie absehbar, zur Verteidigung der Konvention oder zur Begründung der Unterzeichnung oder Ratifizierung keine besseren Argumente mehr nachkommen, dann sollten wir das Unhaltbare hinter uns lassen. Uns fehlen 10 oder 15 Jahre, in denen sich die deutsche Politik der internationalen Entwicklung gegenüber als unbeteiligter Betrachter verhielt, um nicht aufzufallen. Wie man den längst überfälligen, wohlbegründeten kritischen Standpunkt international so verspätet und dennoch konstruktiv, glaubwürdig und plausibel zur Geltung bringen kann, das ist die eigentliche Frage.

Mit der Absage einer Beratung im Bundestag noch in dieser Legislativperiode hat, so glaube ich, auch der Bundestag indirekt anerkannt, daß darin die eigentliche, nun gemeinsam zu bewältigende Aufgabe der nächsten Jahre besteht, nicht mehr in der verkrampften und mit zweifelhaften Methoden verbundenen `Durchsetzung' der Konvention nach innen, die ohnehin nicht gelingen wird. Es ist begrüßenswert, daß eine zunehmende Zahl von Abgeordneten Gelegenheit hatte und hat, über die Auseinandersetzung in den Fraktionen bei diesem Konflikt dieselben emotionalen wie denkerischen Erfahrungen zu machen, die das Gespräch in den vielen Initiativen in Deutschland kennzeichnet. Das wird hoffentlich auch dort nicht folgenlos bleiben, von wo auf eine Ignorierung aller Untiefen dieser Konvention gedrängt wurde - bei Wissenschaft und Industrie.

Einen weiteren Klärungsversuch möchte ich anschließen. Die kritische Auseinandersetzung mit der Konvention während der vergangenen Jahre hat zu überraschenden Übereinstimmungen und Kooperationen quer durch die politischen `Lager' geführt, zunächst in der Öffentlichkeit, bald aber auch im Parlament. Die entgegengesetzten, fraktionsübergreifenden Beschlußanträge im Bundestag zur Konvention spiegelten diese Entwicklung. Sie werden sicher zustimmen, daß dies eine Stärkung des Mandats der Abgeordneten bedeutet, die längst überfällig war. Aus der Anlage Ihrer Argumentation, die letztlich den §218 in den Mittelpunkt stellt, entnehme ich aber auch eine Befürchtung, daß nämlich die breite Opposition gegen die Konvention deckungsgleich sein könnte mit einer bestimmten Position zur Konfliktlage der Abtreibung, und daß im Zug der weiteren Auseinandersetzungen der gegenwärtige Stand hinsichtlich des Selbstbestimmungsrechts der Frau außer Acht geraten könnte.

Dazu würde ich gern noch einmal die Unterscheidung zwischen individualethischen Konfliktlagen und kollektivethischen Verpflichtungen aufgreifen. Aus dieser Perspektive stimmt m.E. die Debatte um die Konvention, was die Prinzipien der Kritik betrifft, überwiegend nicht überein mit den Prinzipien der Kritik, die für die Abtreibungsdebatte charakteristisch waren und sind. Schließlich geht es (u.a.) um die Frage, was man mit menschlichen Embryonen und Feten außerhalb des Uterus einer Frau tun darf und - nicht zuletzt - wer dies tun darf. Daher wäre es eine - wie ich meine - für uns alle riskante Verengung und ganz fruchtlos, das Thema Abtreibung polemisch entweder - als deren positives Hauptanliegen - in die Konvention zu projizieren, um daraus ein Argument `pro' zu machen, sei es, das Thema Abtreibung - als deren negatives Hauptanliegen - aus der Konvention heraus zu projizieren, um daraus ein Argument `contra' zu machen. So einfach liegen die Dinge nun wahrlich nicht. Wären sie so einfach, hätten wir uns die gesamte Bioethik-Debatte sparen können.

Andererseits wäre es absurd zu leugnen, daß die Konvention das Thema Abtreibung selbstverständlich erheblich tangiert, schon hinsichtlich der Frage, woher die Forschung menschliche Embryonen und Feten `bezieht'. Da die Befruchtung im Reagenzglas aber längst eine `Lösung' darstellt, scheint mir ein anderer Aspekt viel wichtiger: Ein Widerstand etwa gegen verbrauchende Embryonenforschung setzt einen Würdeanspruch für menschliche Embryonen - z.B. im Kant'schen Sinn eines Verbots der Instrumentalisierung - voraus. Und je mehr die Dynamik der Forschungsinteressen das Bewußtsein eines solchen Würdeanspruchs herausfordert, desto mehr wird sich dieses Bewußtsein auch in der Abtreibungsdebatte bemerkbar machen müssen, insbesondere im Gewicht des Instrumentalisierungsverbots auch dort.

Ich halte es für einen legitimen Anspruch der Öffentlichkeit, aber auch für ein Gebot der Klugheit, daß sich die Wahrnehmung der Interessen von Frauen mit diesem zugespitzten politisch-ethischen Konflikt offen auseinandersetzt und darin eine konsistente Position erarbeitet, die die mittelbare oder unmittelbare Instrumentalisierung von Frauen, aber auch von menschlichen Embryonen und Feten in Forschung oder Privatwirtschaft zurückweist, andererseits aber auch wahrnimmt, wie massiv die gesellschaftliche Instrumentalisierung heute bereits in private Abtreibungsentscheidungen hineinreicht. Dies alles sind gewiß keine einfachen Diskussionen, aber sie werden - soweit ich sehe - etwa bei den Grünen seit langem und in beeindruckender Weise geführt - gewiß nicht, um das Selbstbestimmungsrecht von Frauen zu schwächen. Offenbar wird diese Diskussion - so muß ich Ihre Argumentation verstehen - bei der SPD noch nicht geführt.

Die öffentliche Debatte um die Konvention, die letztlich erreicht hat, daß das Parlament sich doch noch der Brisanz der Fragen bewußt geworden ist, wird aber vor einer möglichen SPD-Regierung im September nicht haltmachen. Im Gegenteil werden insbesondere die großen Verbände von ihr die größere Weitsicht erwarten, im Kontrast zur jetzigen Regierung, die sich - ähnlich wie die Kirchen - diesen Fragen nahezu 15 Jahre nicht stellte und sich statt dessen buchstäblich `durchwurschtele'. Ein weiteres `Mauern' wird also gerade das, um was es Ihnen - wie ich vermute - geht, nicht befördern, sondern es in eine marginale Rolle drängen.

Angesichts der europäischen Verhältnisse wird viel davon abhängen, ob es in Deutschland zu einem breit getragenen Konsens kommt oder nicht. Dieser Konsens ist - da bin ich jetzt etwas weniger pessimistisch als noch vor kurzem - denkbar, aber natürlich längst nicht erreicht. Es wäre allerdings ein Jammer, wenn er nur deshalb verfehlt würde, weil wichtige politische Kräfte nicht bereit waren, vermeidbare Dissense auszuräumen. 

In der Hoffnung, daß es dazu nicht kommen wird,
und mit der Bitte um Verständnis für meine Ausführlichkeit

mit freundlichen Grüßen

(Jobst Paul)

 

 

Nachrichtlich: Herrn Dr. de la Fuente, Ulm


urspr. Brief von Frau Klappert

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