Deutscher Bundestag
13. Wahlperiode

Drucksache 13/....
27.03.1998

Antrag

Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an der Weiterentwicklung des Menschenrechtsübereinkommens zur Biomedizin des Europarates

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Eine rasante Entwicklung moderner Biologie und Medizin verlangt sowohl im nationalen, als auch im internationalen Rahmen neue angemessene Regelungen zum Schutz von Würde und Identität aller Menschen.

Der Deutsche Bundestag erkennt in der internationalen Verflechtung von Forschung und Anwendung im Bereich von Medizin und Biowissenschaften Chancen und Entwicklungspotentiale zum Nutzen der Menschen, sieht aber auch die Gefahr der Aushöhlung grundlegender Werte und bereits bestehender nationaler Schutzstandards.

Der Deutsche Bundestag setzt sich ausdrücklich dafür ein, daß die Bundesrepublik Deutschland auch in Zukunft an der Entwicklung hoher Standards zum Schutz der Würde des Menschen auf internationaler Ebene mitarbeitet.

Das vom Europarat vorgelegte Menschenrechtsübereinkommen zur Biomodizin brührt unveräußerliche Grundrechte. Das Interesse am wissenschaftlichen und technischen Fortschritt gerät mit der Menschenwürde und den daraus erwachsenden fundamentalen und unveräußerlichen Rechten in Konflikt. Der Deutsche Bundestag bekräftigt deshalb die Unantastbarkeit der Menschenwürde. Bei allem Bemühen um die Weiterentwicklung von medizinischer Forschung und Praxis ist es Aufgabe der Politik, dafür Sorge zu tragen, daß Schutz und Achtung der Würde und Integrität jedes einzelnen Menschen Vorrang vor dem Grundrecht auf Freiheit von Forschung und Wissenschaft haben.

Der Deutsche Bundestag weist mit Nachdruck eine Ethik zurück, die von Nützlichkeitserwägungen geleitete Unterscheidungen der Wertigkeit menschlichen Lebens vornimmt und zwischen "Menschen", "menschlichen Wesen" und "Personen" differenziert. Vor dem Hintergrund verbrecherischer Menschenversuche, der Willkür von "Euthanasie" an behinderten und kranken Menschen, Rassenwahn und Erbgesundheitsgesetzen des Nazi-Regimes trägt Deutschland eine besondere historische Verantwortung. Deutschland muß alles daran setzen daß einwilligungsunfähige Menschen nicht für Forschungs- und Verwertungsinteressen mißbraucht und ihre Würde und personale Integrität nicht gemeinschafts- und fremdnützigen Interessen geopfert werden.

Der Deutsche Bundestag ist sich der zahlreichen Schwierigkeiten bewußt, unter denen sich die Mitglieder des Europarates aufgrund unterschiedlicher historischer Erfahrungen, unterschiedlicher Rechtstraditionen und der für alle gleichermaßen unwägbaren zukünftigen Entwicklungen auf dem Gebiet der Medizin und der Biowissenschaften auf den vorliegenden endgültigen Konventionstext geeinigt haben.

Der Deutsche Bundestag würdigt die Bemühungen der deutschen Vertreter im Lenkungsausschuß für Bioethik des Europarates (CDBI), Änderungen und Verbesserungen am ursprünglichen Konventionsentwurf durchzusetzen.

Trotzdem sind die Sorgen und Ängste von Millionen Menschen, von Betroffenen, von Behindertenverbänden und Angehörigenorganisationen nicht entkräftet worden, denn die Grundsätze und die in dem Æbereinkommen enthaltenen Rechte unterschreiten immer noch erheblich ethische Standards bundesdeutschen Rechts. Das höhere bundesdeutsche Schutzniveau wie im Embryonenschutzgesetz wird dauerhaft kaum zu halten sein, wenn die Bundesrepublik eine Konvention mit niedrigerem Schutzniveau unterzeichnet. Die im Æbereinkommen enthaltenen Rechte widersprechen außerdem in einigen Aspekten dem Menschenbild des Grundgesetzes und verbessern nicht im geforderten Ausmaß den Schutz der Menschenwürde und der Menschenrechte:
 

Der Deutsche Bundestag hält es für vordringlich, bestehende Lücken in der nationalen Gesetzgebung unverzüglich zu schließen und ist sich der Tatsache bewußt, daß die in der Konvention des Europarates genannten Mindestanforderungen hierfür keinen Ersatz darstellen. Der Deutsche Bundestag fordert deshalb die Bundesregierung auf, darüber zu berichten welche Defizite angesichts der Entwicklung in Biologie und Medizin das deutsche Rechtssytem aufweist.

Der Deutsche Bundestag weist mit Nachdruck darauf hin, daß eine Nichtunterzeichnung des Rahmenübereinkommens zum jetzigen Zeitpunkt die Bundesrepublik keineswegs von einer weiteren gestalterischen Miarbeit an den noch ausstehenden Zusatzprotokollen ausschließt, sondern im Gegenteil die deutsche Verhandlungsposition in der Sache stärkt.

Der Deutsche Bundestag macht darauf aufmerksam, daß mit der Unterzeichnung die paradoxe Situation entstünde, daß bei der Erarbeitung der Protokolle jede deutsche Initiative für hohe Schutzstandards durch die vorherige grundsätzliche Anerkennung der unscharfen Formulierungen des Konventionstextes geschwächt wäre.

Der Deutsche Bundestag stellt fest, daß die Bundesrepublik in der Vergangenheit eine Vielzahl von Æbereinkommen des Europarates nicht unterzeichnet hat. Dies hat die Stellung der Bundesrepublik im Europarat keineswegs geschwächt. Als Vollmitglied des Europarates hat die Bundesrepublik selbstverständlich jederzeit Zugang zu und Mitspracherecht in allen Gremien.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

a) dem Deutschen Bundestag gemäß seinem Verfassungsauftrag vor Zeichnung eines völkerrechtlich verbindlichen Vertragstextes ausgiebig Gelegenheit zur Befassung mit dem vorliegenden Konventionstext und dem Wortlaut des "Erläuternden Berichtes" zu geben. Dieses hat angesichts der weitreichenden Auswirkungen auf unser Menschenbild und auf gesellschaftliche Wertvorstellungen mit besonderer Intensität und Sorgfalt zu erfolgen.

b) die Unterzeichnung des Rahmenübereinkommens nicht zu übereilen und sich Zeit für eine ausführliche öffentliche Diskussion zu nehmen, die den Sorgen, Einwänden und Bedenken der Betroffenen und ihrer Organisationen Rechnung trägt. In Fragen der Menschenwürde darf es keinen die Meinungsbildung abschneidenden Zeitdruck geben.

c) die Entscheidung über eine Unterzeichnung des "Menschenrechtsübereinkommens zur Biomedizin" erst dann zu treffen, wenn die angekündigten Zusatzprotokolle vorliegen und individuelle Klagemöglichkeiten gegen Verletzungen des Übereinkommens vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingeführt wurden.

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