Mündliches Votum bei der öffentlichen Anhörung
im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages
am 25. März 1998 zum
Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin
Das Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt hat in seiner Ausgabe vom Freitag
vergangener Woche ein Streitgespräch zur Bioethik-Konvention des Europarates
zwischen Wolf-Michael Catenhusen und Wolfgang Wodarg veröffentlicht.
Die Journalistin vom Sonntagsblatt eröffnet das Streitgespräch
mit der Frage: "Sie beide bezeichnen sich als gläubige Christen und
Verteidiger der Menschenwürde. Warum kommen Sie zu unterschiedlichen
Bewertungen der Bioethik-Konvention?" Die Abgeordneten Catenhusen und Wodarg
stehen stellvertretend für andere evangelische und katholische Christen,
die - das ist die eine Position - zumindest einer Unterzeichnung des
Menschrechtsübereinkommens zur Biomedizin positiv gegenüberstehen
oder - das ist die andere Position - im Gegenteil die Unterzeichnung und
Ratifizierung dieses Übereinkommens jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt
entschieden ablehnen. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hatte
sich bei seinen Beratungen zur Vorbereitung einer Stellungnahme nicht zuletzt
mit der Frage auseinanderzusetzen, ob es für ihn als kirchliches
Leitungsorgan klare und zwingende Grunde gibt, sich auf die eine oder die
andere Seite zu schlagen. Er ist zu dem Ergebnis gekommen, daß die
Frage der Unterzeichnung und Ratifizierung des Übereinkommens zu denjenigen
ethischen Fragen gehört, in denen auf der Grundlage übereinstimmender
Kriterien gleichwohl unterschiedliche konkrete Folgerungen möglich und
vertretbar sind. Das Sonntagsblatt hat das genannte Streitgespräch mit
der Überschrift versehen: "Ja. Nein. Oder Jein?" Es gibt ethische Fragen
in denen der Rat nicht gut beraten wäre, sich mehrheitlich für
ein Ja oder Nein zu entscheiden, in denen er vielmehr seine Aufgabe
sachgemäßer erfüllen kann, wenn er sich darauf beschränkt,
diejenigen Kriterien zu benennen, die bei einer gewissenhaften persönlichen
Urteilsbildung in jedem Fall zu berücksichtigen sind. Das hat nichts
zu tun mit einem unentschlossenen Jein, sondern läßt im Geist
evangelischer Freiheit Raum für die gewissenhafte persönliche
Urteilsbildung.
Ich verzichte darauf, Ihnen die schriftlich vorliegende Stellungnahme des
Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland insgesamt
vorzutragen. Ich hebe die wichtigsten Gesichtspunkte heraus:
1. Im Mittelpunkt
der Stellungnahme stehen die Kriterien, die nach der Überzeugung des
Rates bei der hier anstehenden Prüfung als Maßstab anzulegen
sind:
-
Nächstenliebe ist für die Bibel die Zusammenfassung des Willens
Gottes. Zur Nächstenliebe gehört die Hilfe für Kranke. Die
Zuwendung zu den Kranken ist darum ein Kennzeichen christlicher Barmherzigkeit
geworden. Dabei darf keine Gruppe von Menschen vernachlässigt oder
benachteiligt werden.
-
Die Entwicklung von Biologie und Medizin muß ethisch sorgfältig
verantwortet und insbesondere am Schutz der Würde des Menschen ausgerichtet
werden. Die Überzeugung, daß letztlich nicht eigene Qualitäten,
sondern Gottes Annahme und Berufung dem Menschen Würde verleihen, muß
sich gerade gegenüber dem kranken, behinderten und sterbenden Leben
bewähren.
-
Die Würde des menschlichen Lebens verbietet es, daß es bloß
als Material und Mittel zu anderen Zwecken genutzt wird. Dieser Grundsatz
hat über seine Fassung in der Pilosophie Kants breiten Eingang in das
ethische Denken gefunden. Er hängt aber aufs engste mit dem christlichen
Verständnis des Menschen zusammen.
-
Das Gebot zum Schutz der Würde des Menschen ist auch auf den Umgang
mit menschlichen Embryonen vom frühesten Stadium an anzuwenden. Schon
die kleinste Bewegung in Richtung auf die Zulassung verbrauchender Forschung
an Embryonen überschreitet eine wesentliche Grenze.
-
Die Bundesrepublik Deutschland braucht angesichts der in ihrem Bereich geltenden
Standards das Übereinkommen nicht, um die Menschenwürde in Biologie
und Medizin zu schützen. Aber nationale Inseln eines strengen Lebensschutzes
sind nicht genug. Die Anhebung des internationalen Schutzniveaus ist ein
wichtiges Ziel der Rechtsentwicklung.
-
Ein Beitritt zum Übereinkommen darf auf keinen Fall dazu führen,
daß abweichende strengere Regelungen des deutschen Rechts gefährdet
und aufgeweicht werden.
-
Das Übereinkommen gibt Gelegenheit, das deutsche Schutzniveau an
Einzelpunkten zu verbessern.
2. Vor allem an zwei Punkten
zeigen sich bei der Anwendung der Kriterien auf den Text des
Übereinkomrnens besondere Probleme:
-
In Deutschland gewährleistet das Embryonenschutzgesetz von 1990 einen
weitgehenden Schutz menschlicher Embryonen. Die evangelische Kirche hat sich
in den 80er Jahren zusammen mit den anderen christlichen Kirchen mit Nachdruck
für einen strengen gesetzlichen Schutz menschlicher Embryonen eingesetzt.
Sie hat dabei an die Formulierung von Hans Jonas erinnert: "Unsere so
völlig enttabuisierte Welt muß angesichts ihrer neuen Machtarten
freiwillig neue Tabus aufrichten. Wir müssen wissen, daß wir uns
weit vorgewagt haben, und wieder wissen lernen, daß es ein Zuweit gibt."
Die Besorgnis ist groß, daß die Unterzeichnung und Ratifizierung
des Übereinkommens eine "Sogwirkung" ausübt und die höheren
deutschen Schutzstandards auf Dauer nicht eingehalten, sondern niedrigeren
Standards des Übereinkommens angepaßt werden. Dem kann
entgegengehalten werden, daß sich auf der Grundlage von Art. 27 des
Übereinkommens das hohe deutsche Schutzniveau auch bei einem Beitritt
zum Übereinkommen erhalten und gewährleisten läßt. Im
übrigen wird die "Sogwirkung" nicht erst durch einen Beitritt zum
Übereinkommen geschaffen. Sie ist in jedem Fall eine ernste Gefahr.
Ihr muß energisch widerstanden werden.
-
Der kritischste Punkt des Übereinkommens ist die fremdnützige Forschung
an einwilligungsunfähigen Personen. Sie wird zwar nur unter stark
eingrenzenden und präzisierenden Kautelen zugelassen. Aber es ist
unüberschbar, daß auch so der Grundsatz tangiert wird, wonach
das menschliche Leben niemals bloß als Material und Mittel zu anderen
Zwecken genutzt werden darf. Das "slippery slope"-Argument hat hier wie auch
sonst in der ethischen Argumentation größtes Gewicht. Die in dem
Übereinkommen vorgesehene Regelung wird auf der Linie dieser Argumentation
als "Dammbruch" bewertet. Dem kann entgegengehalten werden, daß kranke
Kinder oder demente alte Menschen ohne die von dem Übereinkommen
ermöglichte Forschung nicht in genügender Weise an therapeutischen
Fortschritten teilhaben. Denn die Entwicklung von Therapien für bestimmte
Krankheiten ist in Ausnahmefällen nur durch Forschung mit solchen Personen
möglich, die ihre Einwilligung zur Forschung nicht persörnlich
geben können. Für diejenige moralische Überzeugung, die in
Kauf nimmt, einem bestimmten Kreis von Patienten nicht alle
Forschungsmöglichkeiten zugänglich zu machen, würde offenbar
die Einhaltung des Prinzips der Selbstbestimmung schwerer wiegen als die
Verpflichtung zur ärztlichen Hilfeleistung. An dieser Stelle wird ein
Dilemma sichtbar, das danach fragen läßt, ob sich nicht eine ethisch
und rechtlich vertretbare Lösung finden läßt, die therapeutische
Fortschritte möglich macht, ohne die Menschenwürde von
einwilligungsunfähigen Personen zu verletzen.
3. Innerhalb der
evangelischen Kirche gibt es Stimmen, die Bundesregierung und Bundestag
ausdrücklich dazu auffordern, dem Übereinkommen die Zustimmung
zu verweigern und es nicht zu ratifizieren, zuletzt in einem Brief des
Präsidenten des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland sieht in dieser Position
eine mögliche und beachtenswerte, jedoch keine zwingende Folgerung aus
den von ihm zugrundegelegten Kriterien und Abwägungen. Vielmehr kann
auf der Grundlage eben dieser Kriterien und Abwägungen mit ebenfalls
beachtenswerten Gründen auch die Folgerung gezogen werden, unter bestimmten
Bedingungen die Unterzeichnung und Ratifizierung des Übereinkommens
zu befürworten. Zu den Bedingungen müßte es insbesondere
gehören, daß die hohen Standards, die in der Bundesrepublik
Deutschland beim Schutz des menschlichen Lebensrechts und der menschlichen
Würde, insbesondere beim Schutz von menschlichen Embryonen, gelten,
durch eine mögliche Unterzeichnung und Ratifizierung auf keinen Fall
zur Disposition gestellt oder gefährdet werden dürfen. In diesem
Züsammenhang genügt es nicht, auf den in Art. 27 des
Übereinkommens grundsätzlich garantierten weiterreichenden Schutz
lediglich zu verweisen. Der Deutsche Bundestag sollte im Falle einer
Ratifizierung eine Selbstverpflichtung vornehmen und die feste Absicht zur
Bewahrung der bestehenden hohen Standards ausdrücklich bekräftigen.
Vizepräsident Dr. Hermann Barth
Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland
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