Tübinger Initiative gegen die geplante Bioethik-Konvention
Dr. Rolf J. Lorenz, Erlenweg 40, 72076 Tübingen Tel.: 07071-600111; FAX: 07071-930479
Verzeichnis der Anlagen:
Liste mit Referenten und Referentinnen (August 1999):
Einladung und Anmeldungsunterlagen:
'BIOETHIK-FORUM' in D-70191 Stuttgart der
-- Tübinger Initiative gegen die geplante Bioethik-Konvention
-- Reutlinger Initiative gegen die Bioethik-Konvention
-- Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Württemberg e. V.
Nachdruck von 1994:
Wir dürfen das Tabu nicht
aufgeben
Warnung vor den Folgen des Euthanasiedenkens
von Prof. Dr. Robert Spaemann
Hauptteil
12. Oktober 1999
Sehr geehrte Damen und Herren,
sechs Monate sind seit dem letzten Zirkular verstrichen. Der Grund: Die Bioethik-Konvention war für lange Zeit kein Thema in Bonn - aber nur scheinbar. Schon im April 1998 brachen die parlamentarischen Beratungen wegen des auf Touren kommenden Wahlkampfes abrupt ab mit der Begründung, dies sei kein Wahlkampfthema (warum eigentlich nicht?). Erst im Oktober 1998 war die Konvention wieder auf der Agenda. Bei den Koalitionsverhandlungen bahnte sich jedoch eine neue Konstellation an: Die GRÜNEN vermochten sich gegen den sozialdemokratischen Gentechnik-Flügel nur schwach (oder gar nicht) zu behaupten, und in der schriftlichen Vereinbarung reichte es gerade mal zu dem recht kargen Satz:
"Der Schutz der verfassungsmäßigen Grundrechte und der Würde des Menschen im Rahmen von medizinisch-ethischen Fragen muß auch bei der Bioethik-Konvention beachtet werden."
Der Plan einer Enquete-Kommission über Biomedizin wurde gar nicht erst schriftlich fixiert, es blieb bei einer vagen mündlichen Vereinbarung. Erst nach dem Umzug nach Berlin öffnete sich vor uns der Vorhang wieder. Was wir nun erblicken, ist eine düstere Szene, die Kulissen sind erkennbar versetzt. Aber der Reihe nach!
1. Die Bioethik-Konvention tritt am 1. Dezember 1999 in Kraft, nachdem Dänemark am 10. August als fünftes Europarats-Mitglied die Ratifikationsurkunde - nach Griechenland, San Marino, der Slowakei und Slowenien - in Straßburg hinterlegt hat. Völkerrechtliche Verbindlichkeit erlangt das Übereinkommen aber nur für diese fünf Staaten! Weitere 18 Mitgliedsstaaten (von 41) haben inzwischen unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. Zu den restlichen 18 Staaten, die weder unterzeichnet noch ratifiziert haben, gehört Deutschland. In den beiden beteiligten Berliner Ministerien (Gesundheit und Justiz) spielt der Gedanke an eine Unterzeichnung einstweilen keine Rolle, auch wenn Wolf-Michael Catenhusen, parl. Staatssekretär im Forschungsministerium, kaum ein Interview ausläßt, ohne auf einen baldigen Beitritt Deutschlands zu drängen.
2. Wie die Enquete-Kommission gekippt wurde. Anfang September dieses Jahres haben die Parlamentarischen Geschäftsführer der Bundestagsfraktionen (lt. FR vom 11.9.99) in einem internen Papier beschlossen, nur vier Enquete-Kommissionen einzurichten - Energiepolitik, demografischer Wandel, Globalisierung und Bürgerliches Engagement. Eine Bioethik-Kommission sei nicht vorgesehen. Kristin Heyne, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, sagte: "Wir fanden es sinnvoll, die Zahl der Kommissionen zu begrenzen in diesem Punkt hat sich die SPD durchgesetzt."
Sofort nach Bekanntwerden gab es zahlreiche spontane Protestbriefe von Initiativen, Einrichtungen und Organisationen sowohl an die Abgeordneten, vor allem an die Fraktionsvorsitzenden, mit der Forderung, den Beschluß zu revidieren. Am 13.September forderte die grüne Bundestagsfraktion (47 Abg.) einstimmig die Fraktionsspitze auf, die Kommission doch einzurichten und deren "Unverzichtbarkeit zu betonen". Am 27.September tagte die SPD-Fraktion (298 Abg.). Sie stimmte mit Zwei-Drittel-Mehrheit gegen die Enquete! Herr Catenhusen hat sich offenbar mit dem Argument durchgesetzt, daß anstehende Gesetzesvorhaben für mehrere Jahre blockiert würden, wenn man erst die Empfehlungen der Enquete abwarten müsse.
Es geht also keineswegs darum, daß der Bundestag mit mehr als vier Kommissionen personell und finanziell überfordert würde, sondern um knallharte Interessen. Es geht um das sogen. "Reproduktionsmedizin-Gesetz", für das ein Entwurf schon seit Jahren in der Schublade liegt und das in dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht werden soll. Mit ihm sollen alle bisherigen Einzelgesetze zur Reproduktionsmedizin zu einem konsistenten Gesamtpaket zusammengeführt und zugleich an die neuen Verhältnisse angepaßt werden. Dazu gehören Themen wie Embryonenforschung, Genomanalyse bei Embryonen, Forschung mit embryonalen Zellen, Klonen usw.. Daß die Forschungsverbände (und die Industrie!) am bestehenden strengen deutschen Embryonenschutzgesetz (ESG) rütteln und die rechtliche Freigabe der Präimplantationsdiagnostik (PID) verlangen, ist bekannt. Ihr parlamentarischer Repräsentant ist Herr Catenhusen! Noch vor wenigen Wochen hat er in Interviews die Notwendigkeit eines Abbaues der rechtlichen Hürden im ESG bestritten, nun aber fädelt er den großen Schwenk ein: das ESG müsse novelliert (sprich: entschärft) werden!
Daß die SPD auf diesem Felde gespalten ist, war bekannt. Daß aber zwei Drittel Herrn Catenhusen folgen, ist eine Katastrophe! Beobachter erklären dies damit, daß viele Abgeordnete, vielleicht die Mehrzahl (und nicht nur bei der SPD), sich noch immer nicht mit der (fraglos schwierigen) Materie auseinandergesetzt haben und daher den wohlfeilsten Argumenten ahnungslos erliegen "Standort Deutschland", "die PID erspart den Frauen die Abtreibung", man kann das Rad der Geschichte nicht aufhalten" usw.). Das Bedenken der Nachhaltigkeit der auf sie zukommenden Entscheidungen bleibt auf der Strecke. Ihnen ist entweder nicht klar oder es ist ihnen gleichgültig, daß die Büchse der Pandora endgültig geöffnet, der noch stehende Damm gegen die Möglichkeit, Menschen züchten zu können, unwiderruflich brechen wurde.
Die ersten Reaktionen auf unsere Eingaben liegen inzwischen vor. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Wilhelm Schmidt, erklärt die Meldung für falsch, daß seine Fraktion die Einsetzung der Enquete bereits abgelehnt habe. Stattdessen habe man sich verständigt, "in einer ad-hoc-Arbeitsgruppe den angemessenenen parlamentarischen Rahmen zur Behandlung der schwierigen Frage der Bioethik zu klären. Dabei soll auch beraten werden, ob die Einsetzung einer Enquete-Kommission eine dafür zweckmäßige Form ist."
Aus der CDU/CSU-Fraktion erreichten uns Antworten einzelner Abgeordneter mit unterschiedlichen Tendenzen. Übereinstimmend wird von diesen Abg. eine Enquete-Kommission mit einer so umfangreichen und komplexen Thematik als der falsche Weg angesehen. Hinsichtlich der Konsequenzen unterscheiden sich aber die Stellungnahmen: Manche ziehen ein außerhalb des Bundestages wirkendes Experten-Gremium vor, welches wegen seines Sachverstandes "über jeden Verdacht der Instrumentalisierung erhaben wäre" (!!??). Andere sind sehr wohl für eine Enquete, jedoch mit reduziertem Themenkatalog. Hier und da hört man auch den Vorschlag, die Bioethik-Enquete unmittelbar nach dem offenbar bereits bevorstehenden Abschluß der Arbeit der "Demographie"-Enquete einzusetzen.
Wie immer diese Argumente einzuschätzen sind: die pro-Enquete-Abgeordneten werden weiter kämpfen! Das jedenfalls anstehende Klärungsverfahren dürfte sich über einige Monate hinziehen. Als sicher kann gelten, daß eine aktive Mitwirkung aus der Bevölkerung nicht nur diesen Abgeordneten den Rücken stärken würde, sondern auch Aussicht auf eine nahezu flächendeckende Wirkung hätte. Inzwischen ist nämlich der Kreis der Zirkular-Empfänger nach Zahl und räumlicher Verteilung so gewachsen, daß der größte Teil aller Wahlkreise vertreten ist. Diese Chance sollten wir nutzen, um den Volksvertretern klarzumachen, daß wir uns mit vorgeschobenen Gründen nicht länger abspeisen lassen und ihnen auf den Fersen bleiben werden. Im Einzelnen sind folgende Aktionen denkbar:
Sicher gibt es noch mehr Möglichkeiten, dem Thema Gehör zu verschaffen - der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt! Wir verstehen diese Aufzählung nicht nur als Aufforderung, sondern auch als Angebot und Ermutigung für alle, die auch selbst etwas tun wollen, über das Wie jedoch noch unsicher sind. Wer mehr tun will als gegen die Abwürgung der Enquete-Kommission nur protestieren, sondern mit Argumenten arbeiten möchte, kann sich - wenn nötig - Anregungen aus schon versandten Briefen holen (Kopien können bei mir angefordert werden; bitte, Briefmarken für 2,20 DM beilegen!).
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Nicht mehr behandelt werden können in diesem Zirkular mehrere aktuelle Themen wie z.B.
Mehr darüber im 17.Zirkular!
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Die Finanzierung der Zirkulare ist nur über Spenden möglich! Seit dem letzten Zirkular im April ist die Spendenfreudigkeit aus verständlichen Gründen stark zurückgegangen: es gab keine politischen Ereignisse, über die hätte berichtet werden können. Nun aber geht es plötzlich weiter! Das 17.Zirkular ff. können nur erscheinen, wenn wir wieder verstärkt Spenden verbuchen können. Neben dem Dank an unverdrossene Spender ergeht daher die Bitte an alle übrigen Zirkular-Leser um einen Obolus. Das Spendenkonto: Diakonisches Werk Tübingen, Nr. 48622 bei der Kreissparkasse Tübingen (BLZ 641 500 20) - Stichwort Bioethik".
Mit freundlichen Grüßen,
gez. Rolf Lorenz