Aus: Sonntag Aktuell, 16. Mai 1999

ZEITGESCHEHEN

Naturschützer feiern, Bauern bruddeln: Der Biber traut sich wieder nach Baden-Württemberg. Nicht überall ist er willkommen.

Viel Mißmut aufgestaut

Er ist das größte Nagetier Europas: Biber können bis zu 1,30 Meter lang und 30 Kilogramm schwer werden. Ein Mißverständnis wurde ihm zum Verhängnis: Da er früher als Fisch galt, reichte man sein Fleisch als Fastenspeise. Begehrt war er außerdem wegen seines Felles, das von reichen Leuten aufgetragen wurde. Vermarktet wurden auch seine Schneidezähne, die Säuglingen beim Zahnen helfen sollten. Ergebnis: Mitte des letzten Jahrhunderts war der Biber nicht nur in Baden-Württemberg ausgerottet, sondern drohte weltweit von der Bildfläche zu verschwinden.

Nur in wenigen Regionen konnte er sich halten, etwa an den Unterläufen von Rhône und Elbe. Eine Rarität. In Deutschland steht er auf der Roten Liste. Mittlerweile scheint der Nager jedoch das Gröbste überstanden zu haben. Die Menschen werben wieder um ihn. Seit zwei Jahren baut Meister Bockert, wie er im Volksmund heißt, seine Burgen auch wieder in Baden-Württemberg. Über Rhein und Donau wandert er ein. Die Landesanstalt für Umweltschutz schätzt seinen Bestand auf hundert Paare.

Artenschützer feiern sein Erscheinen als Erfolg der Renaturierung von Bächen und Flüssen, die die Gewässer aus ihren Verdolungen und Kanälen befreite, ihnen Uferstreifen und Mäander gab.

"Ich weiß nicht, ob das so ein freudiges Ereignis ist", klagt indes Georg Unseld im Rathaus von Asselfingen. Er ist einer der ersten Schultes im Südwesten, die es mit einer stattlichen Biberburg auf der Gemarkung zu tun bekommen haben. "Wir sind nicht glücklich über die Tiere." Deren Dämme erhöhen nämlich den Wasserspiegel der Donau. Ein Hektar Wiese sei versumpft, schimpft der Bürgermeister, und ein neu angelegter Uferweg sei nicht mehr benutzbar.

Bei einigen Anliegern war der Arger über die neuen Nachbarn so groß, daß sie kürzlich zwei ihrer Dämme kurz und klein schlugen. Die Naturschutzbehörde droht mit Strafanzeige. "Man kann das Rad der Geschichte doch nicht zurückdrehen!" empört sich Unseld. Doch der Biber ist anderer Meinung. Eine zweite Burg ist bereits in Bau.

Der Konfrontation könnte einiges an Schärfe genommen werden, wenn das Land - wie auch Bayern - bibergeschädigten Landwirten Ausgleichszahlungen anbieten würde. Schon im zweiten Jahr seines Erscheinens erbosten sich einige Asselfinger Landwirte derart, daß ein Schätzer ins 950 Einwohner große Dorf geholt wurde. Vorläufige Schadensbilanz: 30 Mark für abgeknabbertes Holz und 60 Mark für geklaute Maiskolben.
nat_biber1.jpg Fleißig, intelligent und im Clinch mit den Bauern: Die Biber lösen bei Bürgermeistern und Anwohnern nicht nur helle Freude aus.
Bild: dpa


Ein harmonisches Zusammenleben mit den Einwanderern läßt sich meistens mit einfachen Mitteln erreichen. In Asselfingen hatten Naturschützer eine "Biber-Drainage" eingebaut, mit der man den Wasserstand regulieren kann. Und nur selten führen sie sich derart auf wie beim Kernkraftwerk Gundremmingen, wo sie die Kühlwasserzufuhr behinderten und umgesiedelt werden mußten. Ein Problem sind Biber auch im Zulauf von kleineren Wasserkraftwerken. Der Fluß bringt weniger Wasser, der Stromertrag sinkt.

Auch in Asselfingen stören sich nur wenige Bewohner an der Ankunft des Bibers. Im Grunde ist er ja auch grundsympathisch: Er verfügt über einen ausgesprochenen Familiensinn und ein hochentwikkeltes Gehirn. Seine Vorderpfoten tasten, greifen und formen wie menschliche Hände. Die Indianer nannten ihn anerkennend den "kleinen Bruder des Menschen". Wer zu den Asselfinger Dämmen pilgert, wird indes nicht viel sehen. Der Eingang ihres Baus liegt unter Wasser; heraus wagen sie sich meist nur in der Nacht. Tagsüber bauen sie Röhren, in die manchmal Traktoren einbrechen. In Bayern ist es schon zu Achsbrüchen gekommen. Auch in Baden-Württemberg wird sich die Diskussion um den Schutz der Uferstreifen neu beleben.

Wolfgang Bauer